Veranstaltung: | XXVI. Bundeskongress |
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Tagesordnungspunkt: | 11.2. Weitere Anträge |
Antragsteller*in: | Kathrin Kaindl, Annika Segel |
Status: | Zurückgezogen |
Eingereicht: | 01.11.2022, 18:45 |
A0: Sterbehilfe - ein Recht auf den Tod
Antragstext
Vor allem der Liberalismus steht für eine Selbstbestimmung in allen Lebenslagen
und geht vom Menschen als ein mündiges Wesen aus, welcher die Möglichkeit hat,
Entscheidungen selbstständig und unabhängig zu treffen. „Wenn der Mensch ein
freies Wesen ist, müsste dann diese Freiheit nicht auch und vor allem dann zum
Ausdruck kommen, wenn es um alles geht, nämlich um die Frage, ob ein Mensch
leben will oder sterben?“ (Hoyn 2018)
Auch die persönliche Entscheidung, das eigene Leben zu beenden und dabei Hilfe
in Anspruch zu nehmen, sollte in einer offenen und liberalen Gesellschaft
möglich sein. Denn der Tod ist Teil des Lebens.
Wenn der Wille zur Beendigung des eigenen Lebens da ist, wird auch meist ein Weg
dazu gefunden. Dabei kann nur leider sehr viel schief gehen, nicht nur die
Betroffene/der Betroffene selbst kann dabei großen Schaden nehmen, sondern auch
Angehörige oder Laien. Jeder Mensch hat ein Recht darauf, diesen Erfahrungen
und Schmerzen zu entgehen und die Art des Todes frei zu wählen.
Wenn die Kraft oder Möglichkeit nicht mehr da ist, den Suizid durchzuführen,
bedeutet das in den meisten Fällen ein lebenslanges Leiden. Sowohl psychisch
als auch physisch. Einzige Hoffnung bietet derzeit die Palliativmedizin, welche
eine aktive, ganzheitliche Behandlung von Patientinnen/Patienten mit einer
voranschreitenden, weit fortgeschrittenen Erkrankung und einer begrenzten
Lebenserwartung, die nicht mehr auf Behandlungen anspricht oder wo keine
Behandlung mehr durchgeführt werden kann und die Beherrschung von Schmerzen,
anderen Krankheitsbeschwerden, psychologischen, sozialen und spirituellen
Problemen, bietet. Doch nicht jede Österreicherin/jeder Österreicher bekommt
hierzu Zugang, denn dafür gibt es zu wenige Einrichtungen. Zudem bietet die
Palliativmedizin zwar ein schmerzfreies Sterben, aber kein selbstbestimmtes. Der
Tod kommt trotzdem erst, wenn meine Krankheit mich besiegt hat und nicht, wenn
ich die Zeit zum Gehen bestimme und nichts lebenswertes mehr sehe.
Die Hoffnung, selbstbestimmt gehen zu dürfen, gibt vielen Menschen Kraft, ihr
Leben weiterzuleben und gibt ihnen am Ende sogar Seelenfrieden. Ohne Tod würde
das Leben keinen Sinn machen, doch die Angst vor einem leidvollen Sterben kann
die Schönheit des Lebens überdecken. Diese Angst haben nicht nur diejenigen,
die sich aktuell mit einer todbringenden Krankheit befassen müssen, sondern
vermutlich die meisten von uns, wenn wir über unseren eigenen Tod (und wie wir
ihn uns vorstellen) nachdenken. Die Möglichkeit einer Alternative nimmt uns die
Angst und zeigt, wie wir unser Leben genießen können.
Sterbehilfe kann sogar Leben retten. Die Option, sich an eine Stelle wenden zu
können, welche den Tod verspricht, gibt uns die Möglichkeit, suizidgefährdete
Menschen aufzufangen und somit Leben zu retten. 2018 suizidierten sich 1209
Männer und Frauen in Österreich, trotz der vielen Auffangangebote und
Hilfeleistungen. Eine Stelle, die den schmerzfreien Tod garantiert, kann hier
wichtige Präventionsarbeit leisten.
Die Patientin/Der Patient muss im Moment ihres/seines Verlangens
zurechnungsfähig sein und ihren/seinen Wunsch freiwillig, überlegt und ohne
äußeren Druck formuliert haben. Der Sterbewille muss durch ein geführtes
psychologisches Gespräch klar erkennbar und dokumentiert sein.
Zudem sollte die Möglichkeit gegeben sein, den Wunsch zu Sterbehilfe in der
Patientenverfügung zu verankern und somit den Ärztinnen/den Ärzten eine
Absicherung bei weitergehender Behandlung zu bieten aber auch den eigenen
Angehörigen die oftmals bei schwerer Erkrankung der Patientin/des Patienten
schwierige Entscheidungen treffen müssen. Ein wichtiger Zusatz hierfür ist die
kostenlose Erstellung einer Patientenverfügung.
Die Patientin/Der Patient muss sich in einer medizinisch ausweglosen Situation
befinden, welche durch ein anhaltendes, unerträgliches physisches oder
psychisches persönlich definiertes Leid definiert ist und unweigerlich zum Tode
führt. Hinsichtlich dieser Fragestellung muss eine/ein
unabhängige/unabhängiger und in der betreffenden Pathologie
kompetente/kompetenter Ärztin/Arzt hinzugezogen werden diese Aufgabe soll die
Krankenkasse übernehmen indem sie letztverantwortlich in der Ausstellung eines
Rezeptes/tödlichen Mittels ist.
Die Ärztin/Der Arzt muss die Patientin/den Patienten über dessen
Gesundheitszustand sowie über therapeutische und palliative Möglichkeiten
informieren und mit ihr/ihm zur gemeinsamen Übereinkunft gekommen sein, dass es
in dieser Situation keine „solution raisonnable“ gibt. – Dies soll dann
der Krankenkasse zur Überprüfung zukommen. Eigene Schulungen für die
Ärztin/den Arzt, die Psychologien/den Psychologen und eine fortlaufende
psychologische Betreuung für die Patientin/den Patienten und die Angehörigen
müssen gewährleistet werden.
Der Wunsch zum eigenen Tode muss von der Patientin/dem Patienten selbst
schriftlich mit Unterschrift festgehalten werden (oder mit einer vergleichbaren
zuverlässigen Form der Aufzeichnung wie etwa ein Video). Falls die
Patientin/der Patient dazu nicht mehr in der Lage sein sollte, muss der
Sterbewunsch von mindestens 2 Personen, die keinen materiellen Nutzen am Tode
der Patientin/des Patienten haben, im Beisein der Ärztin/des Arztes erfasst
werden. Sollte der Wille bei tödlichen Erkrankungen ohne solution raisonnable
aus dem Leben zu scheiden in einer gültigen Patientenverfügung festgeschrieben
worden sein ist diese ebenfalls als eindeutige Wunschäußerung zuzulassen. In
allen Fällen sind jedoch Gespräche und psychologische Betreuung wie unter
Punkt 3 angeführt verpflichtend.
Die Kosten für die medizinische und psychologische Begleitung, sowohl als auch
für die Örtlichkeit des Todes und das tödliche Gift, werden von der
Krankenkasse übernommen. Denn das Recht auf Sterbehilfe haben alle, unabhängig
davon, wieviel sie in ihrem Geldbeutel besitzen.
Die Dauer des Weges bis zum Tod muss von Fall zu Fall entschieden werden.
Die/Der Ärztin/Arzt muss feststellen, wie lange die Person schätzungsweise mit
ihrer/seiner todbringenden Krankheit noch zu leben hat und dadurch die Dauer
verkürzen oder eben nicht. Grundsätzlich gilt eine angemessene Periode zu
wählen und mindestens sechs Gespräche zu führen (drei mit der/dem die
zuständigen Ärztin/Arzt und drei mit der/dem begleitenden
Psychologin/Psychologen).
Hier muss mehrmals der eindeutige Wunsch zum Tode festgestellt und auch
festgesetzt werden (schriftlich oder mündlich). Es wird über die Schritte zum
Tod gesprochen und über die Vorbereitungen, die getroffen werden sollten und
auch müssen. Das lebenswerte Leben soll abermals hervorgehoben werden, um zu
sehen, wie standfest der Wunsch nach dem Tod ist. Sollten Zweifel am
wahrhaftigen Wunsch für die/den Psychologin/Psychologen aufkommen, muss diesen
nachgegangen werden und eine Erhöhung der psychologischen Gespräche und auch
andere Therapien angedacht werden. Wenn sich diese Zweifel bestätigen, muss ein
sofortiger Ausschluss aus dem Sterbehilfeprogramm die Folge sein, aber eine
anhaltende Psychotherapie ermöglicht werden. Ebenfalls wird ein Gespräch mit
den Angehörigen angedacht, dieses ist aber nicht verpflichtend für die
Betroffenen. Es soll ihnen aber die Möglichkeit geben, sich auf den
freiwilligen Ausstieg aus dem Leben ihres Verwandten oder Bekannten einzustellen
und ihn zu verstehen. Ebenfalls muss die Möglichkeit gegeben sein, ein
Gespräch nach dem Tod der Freitodwilligen Person zu erhalten.
Es muss innerhalb dieser Gespräche über die momentane Lebenserwartung
aufgeklärt werden und zusätzlich über mögliche Therapien. Wichtiger Zusatz
ist die Untersuchung und mögliche Verbesserung der aktuellen Lebenssituation
die durch betreffendes Personal vor Ort (Zuhause, in einem Pflegheim usw.)
untersucht und besprochen werden muss. Ebenfalls müssen die Alternativen zur
Sterbehilfe, wie beispielsweise die Palliativmedizin, ins Auge gefasst und sich
aktiv damit auseinandergesetzt werden. Sollte der Sterbewunsch anhalten, wird
die richtige Art der Sterbehilfe gemeinsam mit der/dem Patientin/Patienten
erarbeitet und deren/dessen Gesundheitszustand regelmäßig überprüft.
Hierbei geht es um die Möglichkeit einer freiwilligen Sterbebegleitung für die
Patientin/der Patient aber auch seine Angehörigen. Sowohl rechtliche als auch
organisatorische Dinge sollen hierbei besprochen und die/der Betroffene bei der
Umsetzung unterstützt werden. Beinhalten soll dieses Programm auch eine
niederschwellige Unterstützung aller Beteiligten.
Nach Erfüllen aller Voraussetzungen gilt es die erhaltenen Bestätigungen eines
jeden Gespräches usw. abermals an die Krankenkasse zu senden. Diese hat dann
die Aufgabe schnellstmöglich ein Rezept für das, oder direkt das tödliche
Mittel die/den zuständige/zuständigen Arzt gesendet werden.
Die Örtlichkeit kann variieren. So wie das Leben selbst, ist auch der Tod
facettenreich und soll so gestaltet werden können, wie es sich die/der
Sterbende wünscht, unabhängig davon, ob es das eigene Schlafzimmer oder ein
Hotelzimmer ist. Als Voraussetzung gilt hierfür eine Einverständniserklärung
der Besitzerin/des Besitzers der gewünschten Örtlichkeit. Ebenfalls muss die
zuständige Ärztin/der zuständige Arzt zustimmen, da genug Platz zum
Praktizieren der Sterbehilfe gegeben sein muss.
Mindestens zwei Zeugen müssen vor, während und nach dem Tod anwesend sein.
Beide dürfen kein materielles Interesse an dem Tod der/des Sterbenden haben und
auch nicht verwandt mit dieser Person sein.
Kurz vor der Einnahme des tödlichen Mittels wird abermals der Wunsch zum Tod
festgestellt und festgehalten. Wenn möglich, wird per Video ein ausgesprochener
Todeswunsch festgehalten, sowie Name, Geburtsdatum und das aktuelle Datum.
Hierbei kann auch mit Gebärdensprache gearbeitet werden oder gar die Person
beim schriftlichen Verfassen gefilmt werden. Das Video dient zur Feststellung
der Zurechnungsfähigkeit in diesem Augenblick und auch dazu festzuhalten, dass
der Wunsch an dem Todesort und Todestag noch immer vorhanden war. Dies
erleichtert den letzten Schritt der Sterbehilfe, die Ausschließung einer
Straftat.
Passive Sterbehilfe ist das Nichtergreifen (Unterlassen), Reduzieren oder
Nichtfortführen (Abbrechen) lebenserhaltender Maßnahmen aus medizinethischen
Gründen. Dies bedeutet, dass die Patientin/der Patient sich selbst eine
lebensbeendende Substanz zuführt, während zwar jemand anwesend ist,
diese/dieser jedoch nicht eingreift, sondern sie/ihn sterben lässt.
Die Art des tötenden Mittels muss je nach Fall gewählt werden. Hier gibt es
Varianten vom Schlucken tödlicher Tabletten bis hin zur selbständigen Öffnung
einer tödlichen Infusion. Was nun verwendet wird, sollen Ärztin/Arzt und
Patientin/Patient gemeinsam entscheiden und somit die beste Variante für die
Betroffene/den Betroffenen finden. Ebenfalls sollte man hier mit der Zeit gehen
und das Sortiment der möglichen tödlichen Substanzen stetig erweitern.
Aktive Sterbehilfe ist die gezielte Herbeiführung des Todes durch Handeln auf
Grund eines tatsächlichen Wunsches einer Person. Hierbei wird aktiv von der
Ärztin/vom Arzt das gewählte Mittel verabreicht. Dies darf nur der Fall sein,
wenn die Krankheit der Patientin/dem Patienten es nicht ermöglicht, eine andere
passive Art der Sterbehilfe in Anspruch zu nehmen. Auch hier muss die Art des
tötenden Mittels je nach Fall, von Ärztin/Arzt und Patientin/Patient gemeinsam
gewählt werden.
Die Begleitung durch Angehörige ist gut und wichtig. Hierbei darf die
Patientin/der Patient selbst entscheiden, wer in diesen Kreis gehört. Dies
müssen nicht Blutsverwandte sein, sondern können auch Freundinnen/Freunde,
aber auch Wegbegleiterinnen/Wegbegleiter sein. Einzige Voraussetzung ist, dass
diese informiert über den Wunsch sind und auch ein Gespräch mit der
betreuenden Psychologin/dem betreuenden Psychologen geführt haben.
Nach der Totenbeschau durch den jeweiligen Arzt/ die jeweilige Ärztin muss
zuerst die Polizei verständigt werden, diese stellt den passiven Suizid fest
und schließt somit eine Straftat aus. Handzuhaben ist der Todesfall wie in
einem Krankenhaus oder Pflegeheim, bei dem die Institution selbst das Formular
zur Anzeige des Todes ausfüllt und an das Standesamt weiterleitet. Danach
können Angehörige, Bestatter und weitere informiert werden und der letzte Weg,
wie bei jedem anderen Todesfall, in die Wege geleitet werden.
Mehr Lehrstühle müssen ermöglicht werden, um eine Nachfolge zu
gewährleisten. Die palliative Betreuung für jede/jeden der sie in Anspruch
nehmen möchte, muss gewährleistet sein und die Finanzierung langfristig
umgesetzt werden. Mobile Palliativteams sollen hier eine Schlüsselfunktion
einnehmen. Sowohl in der Betreuung als auch in der passiven und assistierten
Sterbehilfe. Hier gilt es auch laufende Schulungen anzubieten und zu
ermöglichen.
Die Patientenverfügung muss gratis sein. Sie soll der Patientin/dem Patienten
die Sorge nehmen, bei Unzurechnungsfähigkeit nicht mehr selbstbestimmt leben
oder sterben zu können.
Wir JUNOS - junge liberale NEOS, fordern ein Recht auf Sterbehilfe. Das Verbot
zur aktiven Sterbehilfe sowie zur Beihilfe zum Suizid (§§77f) sollen aus dem
Strafgesetzbuch gestrichen werden und ein Rahmen für einen selbstbestimmten Tod
geschaffen werden. Durch Annehmen dieses Beschlusses wird der von Nikolaus
Scherak gestellte und vom Bundeskongress am 5.6.2011 angenommene Antrag
„Würdevolles Sterben ermöglichen“ ersetzt.
Addendum (2018): https://www.addendum.org/sterbehilfe/ (14.10.2021)
Ärztezeitung (2020): https://www.aerztezeitung.de/Politik/Zugang-ist-nicht-
fuer-alle-gleich-gut-237955.html (14.10.2021)
Bundesministerium für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz
(2019): Suizid und Suizidprävention in Österreich 2019
DRZE (2020): http://www.drze.de/im-blickpunkt/sterbehilfe/module/belgien-loi-
relatif-a-leuthanasie (14.10.2021)
DRZE (2020): http://www.drze.de/im-blickpunkt/sterbehilfe/module (14.10.2021)
Hospitz Österreich (2020): https://www.hospiz.at/betroffene/fuer-
erwachsene/hospiz-und-palliativeinrichtungen/ (14.10.2021)
Österreichische Notariatskammer und Bundesministerium für Soziales,
Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz (2020):
https://www.oesterreich.gv.at/themen/soziales/pflege/3.html (14.10.2021)
Österreichische Notariatskammer und Bundesministerium für Soziales,
Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz (2020):
https://www.oesterreich.gv.at/themen/gesundheit_und_notfaelle/todesfall/Seite.19-
0200/Todesfall-in-einem-Krankenhaus-Pflegeheim.html (14.10.2021)
Schmid, Angelika: Sterbehilfe: Das Recht auf Leben ist keine Pflicht zum Leiden
– Sterbebegleitung statt Suizid.
Wesel, Barbara (2020): https://www.dw.com/de/belgien-vorreiter-der-
sterbehilfe/a-52526888 (14.10.2021)
Wetz, Andreas (2018): https://www.addendum.org/sterbehilfe/alternativen/
(14.10.2021)
Begründung
Dieser Antrag wurde am XXIV. und XXV. Bundeskongress vertagt und befindet sich am Ende der zweiten Lesung.
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