Veranstaltung: | Landeskongress Wien |
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Tagesordnungspunkt: | 0.16.2. weitere Anträge |
Antragsteller*in: | Philipp Pichler, Tobias Hübl, Maximilian Oberhammer |
Status: | Eingereicht |
Eingereicht: | 22.06.2023, 10:16 |
A3: Wir sind mehr als nur ‘unsere’ Geschichte! Für eine moderne Erinnerungskultur in Wien.
Antragstext
Edward Colston, Wladimir Iljitsch Lenin, Karl Lueger - nicht zuletzt durch die
Black-Lives-Matter-Proteste in den USA rückten die Formen öffentlicher Ehrungen
belasteter historischer Personen wieder ins Rampenlicht - so auch in Österreich.
Im öffentlichen Diskurs wird der Ruf nach einer kritischen Auseinandersetzung
mit den Denkmälern belasteter historischer Figuren und ihrer Kontextualisierung
oder Demontage immer lauter.
Das wohl prominenteste Beispiel in Wien ist dabei die Statue Karl Luegers, der
seinen politischen Erfolg auf grassierenden Antisemitismus baute, wie auch der
Historiker:innenbericht der Stadt Wien dargelegt hat.[1] Nach langer Debatte ob
eine Kontextualisierung über Informationstafeln hinausgehen sollen,
aktivistischer Interventionen (‘Schande’) und einem Wettbewerb zu
Kontextualisierungskonzepten wird nun die Statue um 500.000 € um 3,5° nach
rechts geneigt.[2] Auch rund um den Leopold-Kunschak-Platz, benannt nach einem
Antisemiten und Parteigänger Luegers, kam es durch die Forderung nach
Aufstellung eines weiteren Ehrenmals für Kunschak zu hitzigen Debatten.[3]
Der Umgang mit der öffentlichen Ehrung von belasteten Personen ist aus unserer
Sicht keine Frage von Geschichte, sondern eine Frage der politischen
Verantwortung. Diese Statuen und Ehrungen bilden nicht ‘die’ oder ‘unsere’
Geschichte ab, sondern sind ihrerseits ein Produkt einer spezifischen Epoche und
Mentalität. Die Veränderung dieser Gedächtnisformen ist keine Verfälschung der
Geschichte, sondern eine normale historische Praxis, so wie ihn jede Epoche vor
der unseren kannte.
Im Umgang mit Ehrungen im öffentlichen Raum gibt es aus unserer Sicht keine
generelle Regel, wie mit ihnen umzugehen ist. Das würde der geschichtlichen
Realität auch nicht gerecht werden. Jedes Denkmal muss für sich diskutiert
werden. Die Politik muss aber dafür den geeigneten Rahmen schaffen.
Diskussionsräume schaffen - politische Verantwortung übernehmen!
Wir JUNOS - Junge Liberale NEOS begrüßen die Auseinandersetzung mit der eigenen
Geschichte als Chance, um uns von einem einseitigen Geschichtsbild zu lösen und
eine lebendige Erinnerungskultur zu gewinnen, die, getragen von Bürger:innen,
sich mutig mit belasteten Kapitel der eigenen Geschichte auseinandersetzt.
Aktionistische Interventionen, wie etwa die Kontextualisierung des Karl-Lueger-
Denkmals durch den Schriftzug ‘Schande’, erkennen wir in diesem Zusammenhang als
zivilgesellschaftliche Protestform an. Einen Ruf nach Strafverschärfung lehnen
wir daher ab.
Ungeachtet davon, zeigt die Notwendigkeit solcher Protestformen, dass es der
Zivilgesellschaft an qualitätsvollen Diskussionsräumen fehlt, in denen, unter
Anleitung von Expert:innen, die Auseinandersetzung mit öffentlichen Ehrungen von
belasteten historischen Personen passieren kann. Diese Diskussionsräume müssen
dabei möglichst nahe an den Bürger:innen stattfinden und es ist die Aufgabe der
Politik, sie bereitzustellen.
Grundlage dieser Diskussionen müssen aus unserer Sicht wissenschaftliche
Erkenntnisse bilden. Denn nur auf einem Fundament aus Fakten können politische
Entscheidungen getroffen werden, die auch nachhaltig sind.
Die Entscheidung wiederum, wie mit öffentlichen Ehrungen belasteter
Persönlichkeiten umgegangen wird, ist und bleibt eine politische Verantwortung
und kann nicht auf die Wissenschaft abgeschoben werden. Sie steht für uns am
Ende eines öffentlichen Diskurses, unter Beteiligung von Bürger:innen.
Es ist Zeit den nächsten Schritt hin zu einer modernen Erinnerungskultur zu
machen und wir JUNOS - Junge Liberale NEOS fordern daher:
Nahezu jedes Museum verfügt über Kurator:innen, die den nötigen Kontext für ein
besseres Verständnis von Artefakten herstellen. Sie schaffen damit die nötige
geschichtswissenschaftliche Grundlage, um diese Objekte besser zu verstehen und
ein vollständigeres Bild von ihnen zu bekommen. Im öffentlichen Raum hingegen
fehlt diese Funktion: Denkmäler stehen ohne Kontext in der Öffentlichkeit und
zementieren einseitige Geschichtsbilder ein. Wir fordern daher Kurator:innen für
den öffentlichen Raum in Wien, angesiedelt im Wien Museum. Sie sollen, zusammen
mit den Gebietsbetreuungen, die schon jetzt Expertise für Beteiligungsformate
zur Verfügung stellen, die Grundlage für öffentliche Verhandlungen belasteter
historischer Personen schaffen.
Auch bei Neuvorstellungen von Denkmälern oder Neu- bzw. Umbenennungen
öffentlicher Flächen soll dieser Prozess einer politischen Entscheidung
vorausgehen. Nur so lässt sich Geschichte als Prozess begreifen und eine moderne
Erinnerungskultur erfahren.
Wir JUNOS - Junge Liberale NEOS stehen für mutige Politik - auch im Umgang mit
Denkmälern und Benennungen öffentlicher Flächen.
Die ausschließliche Anbringung von Zusatztafeln, als mut- und ideenlosen
Minimalkompromiss einer Kontextualisierung lehnen wir entschlossen ab. Solche
Informationstafeln sind nicht in der Lage, ein breites geschichtliches
Verständnis abzubilden und leisten keinen Beitrag zu einer kritischen
Auseinandersetzung. Im schlechtesten Fall, schreiben sie wieder ein einseitiges
Geschichtsbild fest.
Auch die Aufstellung von Statuen belasteter historischer Personen in Museen
lehnen wir im Regelfall ab. Das Verräumen der Statuen ist zu oft ein politisches
Mittel, um der Auseinandersetzung mit problematischen Denkmälern auszuweichen.
Volle Depots tragen genauso wenig zu einer kritischen Auseinandersetzung bei und
leiten die politische Verantwortung über den Umgang mit solchen Denkmälern auf
die Museen ab. Diese Praxis lehnen wir ab.
Gleichzeitig erkennen wir an, dass es sinnvolle Ausnahmen dieser Regel geben
kann, wie der Umgang mit der Statue des Sklavenhändlers Edward Colston deutlich
macht. Sie wurde mitsamt Graffiti und jenen Seilen, die man zum Sturz der Statue
nutzte, sowie einer Sammlung von über 500 Plakaten als Beispiel einer sich
ändernden Geschichtsauffassung in einem Museum in Bristol aufgestellt.[4]
Bürokratie darf kein Hindernis auf dem Weg zu einer modernen Erinnerungskultur
sein! Der Verwaltungsaufwand, der beispielsweise Anrainer:innen durch eine
Umbenennung entsteht, muss daher so gering wie möglich gehalten werden. Im Zuge
der öffentlichen Foren soll es daher ein Angebot einer persönlichen Beratung für
Anrainer:innen geben. Unmittelbare Kosten, die Bürger:innen aus so einer
Umbenennung entstehen, müssen von der öffentlichen Hand übernommen werden.
Das neue Interesse am Umgang mit öffentlichen Ehrungen belasteter historischer
Personen ist vor allem eine Chance hin zu einer modernen Erinnerungskultur, die
offen auf einem Fundament aus Fakten debattiert wird und an der möglichst viele
Menschen beteiligt werden. Sie wird einer liberalen, demokratischen
Öffentlichkeit gerecht und schützt Geschichte vor denjenigen, die sie nur
politisch instrumentalisieren wollen. Es eröffnet sich für uns als Gesellschaft
dadurch die Chance, Geschichte als spannendes und komplexes Phänomen zu
begreifen.
[3]https://kurier.at/chronik/wien/leopold-kunschak-platz-hernals-oevp-
gedenktafel-antisemit/402458325
Änderungsanträge
- A3-033 (Lukas Döpel, Eingereicht)
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